Kapitel 1, Teil 2
Als ich wieder erwachte, lag ich im Grass an einem Bach, der sich zwischen Felsenwänden durchschlängelte. Ich hörte ein Rauschen. Und als ich den Kopf drehte, sah ich den Vogel. Das erste mal konnte ich ihn genauer erkennen. Er war sicher ein Meter fünfzig groß, hatte einen weißen Kopf und einen braunen Körper. Er lächelte. Keine Ahnung, woher ich das wusste, wie sollte es schon aussehen, wenn ein Vogel lächelte? Aber es war so.
„Wie geht’s dir?“, fragte er mich.
„Ich... äh..., es geht so“ Ich setzte mich auf. Wie hatte er den Ort noch mal genannt? Avensee? Das klinkt irgendwie passend, fand ich, so ähnlich wie aus einer Fantasy-Geschichte. „Sind wir... ich meine, wie sind wir hier hin gekommen?“
„Wir sind nicht mehr wirklich auf der Erde, wenn du das meinst“, erklärte mir der Vogel. Ich sah ihn nur an, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Gegenüber sah mich einfach nur ganz ruhig an. War irgendwie beruhigend.
„Du musst wirklich keine Angst haben, Saskia. Ich habe dich von der Erde weggeholt, weil ich dir vieles zeigen möchte. Sachen, die kaum jemand erlebt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Du meinst, ich solle keine Angst haben?!“, fuhr ich ihn an, „Da taucht plötzlich son Papagei vor meinem Fenster auf und fliegt mit mir irgendwo hin, von wo ich nicht mehr nach Hause komme und ich soll keine Angst haben?“ Ich fuhr mir durch die Haare. „Ich glaube, bei dir piepts!“
„Du hättest in Biologie besser aufpassen sollen“, meinte der Papagei, „Ich bin ein Adler. Und ich heiße Agraf.“ Ich suchte nach Worten. Ich bin nicht auf den Mund gefallen, sagen alle. Aber das bin eben ich, wenn es drauf ankommt, ist mit mir nichts anzufangen. Ich spürte Tränen in den Augen. Nein, nicht heulen. Das bringt auch nichts. Dann merkt der nur, dass ich Angst habe.
„Das merke ich auch so“, stellte Agraf fest. „Und bevor du anfängst, zuzumachen, sieh dich doch erstmal um.“
Hm. Naja, ich versuchte wenigstens, mich zu entspannen. Dieser Agraf war echt strange. Dagegen war sogar diese Landschaft fast normal.
Sie war eigentlich sogar richtig schön. Es gab überall Wasserfälle, die aber nicht so einen großen, ohrenbetäubenden Lärm machen wie es bei den Wasserfällen war, die ich bisher gesehen habe. Allgemein schien diese Welt relativ ruhig zu sein. Dafür aber auf eine merkwürdige Art lebendig. Die Wasserfälle schienen lebendig, die Felsen schienen lebendig, das Gras schien lebendig, sogar die Luft und die Ruhe schienen ihr eigenes Leben zu haben und das Licht, von dem es hier massig gab. Das Licht schien lebendig zu sein. Ich stand auf. Ging an Agraf vorbei zu dem Bach. Ich wollte sehen, ob es Fische gab. Als ich ins Wasser schaute, schauten fremde Augen zurück. Ich stieß einen kleinen Schrei aus. Agraf lachte. „Keine Angst, das ist nur ein Bewohner dieser Welt.“
„Das sind Augen.“ Ich war vollkommen perplex.
„Du siehst nur die Augen. Nayas zeigen sich nicht gerne. Deswegen leben sie auch unter Wasser.“
„Könnten sie auch aus dem Wasser rauskommen?“
Die Augen sahen mich nur kurz empört an. Dann verschwanden sie.
„Ja, könnten sie. Aber sie wollen nicht. Es muss schon was Wichtiges passieren, dass sie auch nur in Erwägung ziehen, das Wasser zu verlassen. Sie sind Wassergeister und für sie wäre es so unvorstellbar aus dem Wasser an Land zu kommen wie es für dich wäre, in einem Vulkan zu leben.“
„Geister?“, fragte ich ängstlich
„Ja, aber keine bösen.“
Merkwürdig, dachte ich. Und „Hm“, sagte ich. Ich versuchte die Frage zu formulieren, die sich mir aufdrängte, als ich hier erwachte. „Sind hier... ich meine, gibt es hier andere Naturgesetze als bei uns?“ Schon alleine die Ruhe schien mir unnatürlich, und dass sie sich auf mich zu übertragen schien.
Agraf schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich würde sagen, hier sind die Naturgesetze ursprünglicher.“ Ich verstand nicht, was er damit meinte, aber ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, denn ein oragnes Etwas flog auf uns zu. Ich trat wieder einen Schritt zurück. Hilfe, Agraf musste ja sehen, was für eine Memme ich bin. Er wandte sich dem Ding zu. Als es abbremste, konnte ich eine Feuergestalt erkennen, zwar mit Gliedmaßen, aber trotzdem nur entfernt mit menschlicher Siluhette. „Ein Avenelf“, flüsterte Agraf mir zu. „Ein Berggeist“
Der Berggeist verneigte sich vor Agraf. „Es hat sich ein neues Loch aufgetan, Majestät.“